Geschichte

Seit seiner Gründung im Jahr 2006 hat sich exil.arte – später als Exilarte Zentrum an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien institutionalisiert – zu einer der weltweit führenden Einrichtungen für die Wiederentdeckung, Bewahrung und Reintegration jener Musik entwickelt, die durch den Nationalsozialismus verdrängt oder zum Schweigen gebracht wurde. Was mit einem Gedenkkonzert für Alma Rosé begann, hat sich im Verlauf von beinahe zwei Jahrzehnten zu einem vielgestaltigen Programm aus Konzerten, Ausstellungen, Tagungen, Publikationen und Archivaufbau entwickelt.

Die nachfolgende, nach Jahren gegliederte Chronik (2006–2026) dokumentiert diese Entwicklung im Detail. Sie zeigt, wie exil.arte seine Aktivitäten von lokalen Konzerten hin zu internationalen Kooperationen erweiterte, von Erinnerungsprojekten zu systematischer Forschung und von einzelnen künstlerischen Initiativen zu einem Archiv von globaler Bedeutung. Immer wiederkehrende Leitmotive sind dabei die Restitution zum Schweigen gebrachter Stimmen, die enge Verbindung von Forschung und Aufführungspraxis, die Pflege internationaler Netzwerke und die Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur über Fach- und Ländergrenzen hinweg.

2006

Die Aktivitäten des Vereins exil.arte begannen am 14. November 2006 mit einem Programm im Gedenken an Alma Rosé, die gefeierte Wiener Geigerin, die nach einer erfolgreichen Vorkriegskarriere Dirigentin des Frauenorchesters in Auschwitz wurde, wo sie 1944 starb. Der zweiteilige Abend trug den Titel My name is Alma Rosé — please don’t forget me, entnommen einer Inschrift auf einem Porträt, das der Tänzer und Choreograph Edward Arckless im Jüdischen Museum Wien entdeckt hatte.

Zu Rosés 100. Geburtstag schuf Arckless eine Choreographie zu Musik von Erich Wolfgang Korngold, darunter die Abschiedslieder, interpretiert von der Sopranistin Mary-Lou Sullivan Delacroix. Im zweiten Teil folgte Mark Neikrugs Musiktheaterwerk Through Roses, aufgeführt vom Schauspieler Martin Schwab mit dem Ersten Frauenkammerorchester von Österreich unter der Leitung Neikrugs. Die Aufführung im Wiener Haus der Musik verband Gedenken, künstlerische Innovation und Zeitzeugenschaft – und bildete den Auftakt für die Arbeit von exil.arte.

2007

Im ersten vollen Veranstaltungsjahr präsentierte exil.arte im Haus der Musik Konzertprogramme mit Werken von Ursula Mamlok, Arnold Schönberg, Erich Zeisl und insbesondere Erich Wolfgang Korngold, dessen 110. Geburtstag und 50. Todestag 2007 begangen wurden.

Am 29. November fand das erste Konzert Hollywood in Vienna im Wiener Konzerthaus statt, das Korngolds Filmmusik in den Mittelpunkt stellte. Am folgenden Tag (30. November) veranstaltete exil.arte das Symposium Vienna in Hollywood mit John Mauceri, Brendan Carroll, Michael Haas und Gerold Gruber. Insgesamt führte der Verein im Jahr 2007 elf Kulturveranstaltungen durch und etablierte sich damit als Plattform für Aufführung und Wissenschaft.

2008

Vom 18. bis 20. Januar traf exil.arte in Paris auf Voix Étouffées sowie auf das Zentrum für Verfemte Musik in Rostock (unter der Leitung von Volker Ahmels). Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich Project ESTHER (Europäische Strategien zur Holocaust-Erinnerung), das später durch das Royal College of Music in London und das finnische De ungas musikförbund ergänzt wurde.

Im April nahm exil.arte am Kongress Music, Oppression, and Exile: The Impact of Nazism on Musical Development in the Twentieth Century an der University of London teil. Die Tagungsakten erschienen 2014 bei Böhlau in der exil.arte-Schriftenreihe.

Am 5. Mai präsentierte exil.arte das Programm Never a Child im Österreichischen Parlament anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Organisiert von der Präsidentin des Nationalrats Barbara Prammer spielte das Jugendblasorchester Laufen-Gmunden-Engelhof Werke von Walter Arlen, Hans Gál und Ernst Krenek; vorbereitet wurde das Programm von Gerold Gruber und Lukas Haselböck. Zeitzeugenberichte und eine Lesung aus Ilse Aichingers Die größere Hoffnung ergänzten den Abend. Weitere Konzerte fanden in Rom (Forum Austriaco di Cultura, Viktor Ullmann) und im Jüdischen Museum Wien (Walter Arlen) statt.

2009

Zwei zentrale Kooperationen prägten 2009. Mit Voix Étouffées und Amaury du Closel veranstaltete exil.arte Konzerte in Deutschland, Österreich, Italien und Tschechien – ein Auftakt zu einer größeren Tournee im Folgejahr.

In Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Wien kuratierte Michael Haas eine Konzertreihe über das gesamte Jahr hinweg. Das Eröffnungskonzert The Sun is Sinking (9. Februar) erinnerte an den 50. Todestag von Erich Zeisl, gefolgt von So Your Journey to America Begins… (8. Mai) und Ostracized Music mit Werken von Schulhoff, Laks, Zemlinsky, Toch u. a.

Vom 15. bis 29. Juni organisierte exil.arte gemeinsam mit der mdw, der Palacký-Universität Olmütz, dem Tschechischen Zentrum Wien und der Wiener Konzertgesellschaft ein Martinů-Festival mit Konzerten, Symposien und einer Exkursion nach Olmütz.

Am 9./10. Oktober fand schließlich das erste Internationale Filmmusiksymposium an der mdw statt. Es verband Live-Aufführungen von Filmmusiken mit Workshops zu Exilkomponisten wie Max Steiner und Korngold sowie Diskussionen über die Vergangenheit und Zukunft des Genres.

2010

2010 eröffnete exil.arte seinen YouTube-Kanal. Das erste veröffentlichte Video zeigte Hans Gáls Serenade für Streichorchester, Op. 46, aufgeführt im Parlament am Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus.

Im selben Jahr erschien die erste CD des Vereins: The Right Tempo (Kammermusik von Gál). Es folgten zwölf weitere Einspielungen in Zusammenarbeit mit Gramola, Toccata Classics und EDA Records – darunter Programme mit Werken von Schulhoff, Ullmann, Tauský, Julius Bürger, Hans Winterberg und Walter Arlen sowie später die Anthologie Treasures from the Exilarte Center.

Am 6. Mai präsentierte exil.arte im Arnold Schönberg Center ein Konzert mit Werken von Schönberg, Zemlinsky und Gál sowie Auszügen aus Zeisls unvollendeter Oper Hiob nach Joseph Roth.

Noch im selben Jahr wurde exil.arte mit dem Bank Austria Kunstpreis und dem Golden Stars Award der Europäischen Kommission ausgezeichnet. Thomas Angyan, Direktor des Wiener Musikvereins, würdigte in seiner Laudatio das Verdienst des Vereins mit den Worten „der Verein exil.arte lässt verstummte Stimmen wieder sprechen und bringt gewaltsam zum Verstummen Gebrachtes wieder an unser Ohr – und damit auch an unser Herz”.

2011

2011 festigte exil.arte weiter seinen doppelten Schwerpunkt auf wissenschaftlicher Forschung und künstlerischer Restitution. Das Jahr begann mit der Veröffentlichung der CD Lost Generation – eine Einspielung von Werken von Erwin Schulhoff, Viktor Ullmann und Vítězslav Tauský in Zusammenarbeit mit dem English Chamber Orchestra. Diese Produktion bereicherte den wachsenden Diskografiebestand des Vereins und trug maßgeblich dazu bei, das Werk verfemter Komponisten durch Einspielungen wieder hörbar zu machen.

Vom 24. bis 27. Mai eröffnete exil.arte die Saison mit dem Symposium After Mahler’s Death. Es vereinte führende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und künstlerischer Praxis, darunter Gerold Gruber, Michael Haas, Thomas Hampson und Morten Solvik. Als Ehrengast war Marina Mahler, die Enkelin des Komponisten, anwesend. Die Tagung thematisierte die kulturellen und ästhetischen Landschaften, die von Gustav Mahlers Vermächtnis geprägt wurden, und stellte sie in einen größeren Kontext der Moderne und der Exilerfahrungen des 20. Jahrhunderts.

Am 6. November präsentierte das Wiener Volkstheater ein Konzert mit Werken von Walter Arlen. Bei dieser Gelegenheit übertrug Arlen seinen Nachlass formell der Wiener Stadtbibliothek und widmete seine Urheberrechte dem zukünftigen Exilarte Center. Diese symbolische Geste unterstrich das persönliche Vertrauen in die Mission des Vereins und bildete zugleich eine entscheidende Grundlage für die zukünftige Archivarbeit des Centers.

Das Jahr endete mit dem fünfjährigen Jubiläumskonzert im Haus der Musik. Auf dem Programm standen Werke von Rachmaninow, Kreisler, Gál, Michael Graubart, Krenek, Zemlinsky, Korngold, Schönberg, Marc Lavry und Sándor Kuti. Die ungarische Geigerin Orsolya Korcsolán war als Solistin und Ehrengast eingeladen. Das Konzert verdeutlichte die Verbindung von Erinnerungskultur und zeitgenössischer Aufführungspraxis, die das Selbstverständnis von exil.arte prägt.

2012

2012 weitete exil.arte seine Tätigkeit auf den Bereich der wissenschaftlichen Publikationen aus. In Kooperation mit dem Böhlau Verlag erschien der erste Band der Exil.arte-Schriftenreihe: Brendan G. Carrolls Erich Wolfgang Korngold: The Last Prodigy (überarbeitet und ins Deutsche übersetzt von Gerold Gruber). Als zweiter Band folgte Peter Wegeles The Film-Composer Max Steiner.

Vom 27. bis 29. September veranstaltete exil.arte gemeinsam mit dem Verein Verfemte Musik im Rahmen des Projektes ESTHER in Schwerin das Symposium Continental Britons: Persecuted, Displaced, Forgotten?. Internationale Forscherinnen und Forscher, darunter der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling, präsentierten neue Studien zu jüdischen Komponist:innen, die ins Vereinigte Königreich emigrieren mussten. Die Tagungsakten wurden 2015 beim Verlag Bockel unter dem Titel …And Listed in Every Lexicon as “British” veröffentlicht.

Neben der wissenschaftlichen Arbeit setzte exil.arte auch die Konzerttätigkeit fort: Am 15. November fand in der Synagoge Baden ein Fritz-Kreisler-Gedenkkonzert statt. Am 28. November spielte das ORF Radio-Symphonieorchester im Wiener Musikverein Werke von Schubert, Dvořák, Schulhoff, Gál und Tauský. Den Abschluss bildete am 13. Dezember ein Konzert mit der Sopranistin Ethel Merhaut.

2013

Ein Höhepunkt des Jahres 2013 war die Veröffentlichung von Michael Haas’ grundlegender Studie Forbidden Music: The Jewish Composers Banned by the Nazis. Das Werk zeichnet die künstlerischen Strömungen jüdischer Komponist:innen nach, die unter dem NS-Regime verfolgt wurden, und leistet bis heute einen wichtigen Beitrag zur Exilforschung.

Im Oktober setzte exil.arte die Zusammenarbeit mit Project ESTHER fort und organisierte an der mdw das Symposium In the Anschluss: Musical, Artistic and Pedagogical Strategies for Holocaust Mediation. Die Veranstaltung bot Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen sowie mehrere Konzerte. Am 17. Oktober wurde Jeremy Schonfelds multimediales Projekt Iron & Coal aufgeführt, das auf den Erinnerungen seines Vaters Gustav, einem Holocaust-Überlebenden, basiert. Am 19. Oktober stand ein Konzert mit Musik von Hermann Leopoldi auf dem Programm, dem berühmten Komponisten und Kabarettisten, der 1938 in die USA floh.

Am Ende des Jahres startete exil.arte die Konzertreihe Exit to Mexico. Sie war dem mexikanischen Generalkonsul Gilberto Bosques gewidmet, der tausenden verfolgten österreichisch- und deutsch-jüdischen Bürger:innen zur Flucht verhalf. Das erste Konzert fand am 23. Mai in Baden statt. 2014 folgten internationale Auftritte, darunter im Maison Heinrich Heine (Paris), im Castillo de Chapultepec (Mexiko-Stadt) und in der Carnegie Hall (New York).

2014

Während die internationalen Konzertreihen Exit to Mexico und Exit to USA fortgesetzt wurden, begann exil.arte 2014 mit einem neuen Wiener Schwerpunkt: der Konzertreihe Echo des Unerhörten. Das Eröffnungskonzert, aufgezeichnet im ORF RadioKulturhaus und gespielt von Stefan Koch (Violine) und Scott Faigen (Klavier), war dem Komponisten und Pädagogen Richard Stöhr gewidmet.

Im selben Jahr erschien der dritte Band der exil.arte-Schriftenreihe bei Böhlau: Eric Levis The Impact of Nazism on Twentieth-Century Music. Der Band beleuchtet umfassend die kulturellen und stilistischen Folgen der NS-Verfolgung und stellt die Werke einzelner Exilkomponist:innen in den Kontext einer globalen Musikgeschichte.

2015

2015 setzte exil.arte die Reihe Echo des Unerhörten fort. Konzerte waren Bruno Walter, Hermann Leopoldi und Hans Gál gewidmet. Besonders hervorzuheben ist das Programm zu verfemten Komponistinnen wie Vally Weigl, Rosy Wertheim, Ruth Schönthal, Ursula Mamlok, Henriëtte Bosmans und Maria Hofer. Moderiert von Irene Suchy, thematisierte das Projekt erstmals gezielt die gender-spezifischen Dimensionen des Exils.

Am 24. Dezember ging exil.arte mit einem weiteren innovativen Projekt online, nämlich einer Informations-Website zum Thema Filmmusik und das Exil. Sie enthält Interviews mit Zeitzeugen, Historikern und führenden zeitgenössischen Filmkomponisten, darunter Danny Elfman, David Newman und John W. Waxman. Damit machte exil.arte auch international auf die Bedeutung der Exilerfahrungen für die Filmmusik aufmerksam.

Darüber hinaus veranstaltete exil.arte 2015 das Symposium Music – Lost & Found: Did 1945 also Mean the End of Multistylistism in Composition? in Schwerin. Anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes diskutierten Musikwissenschaftler über Nationalismus, Pädagogik und stilistische Entwicklungen in der Nachkriegszeit. Die Tagungsakten wurden 2017 im Verlag Der Apfel veröffentlicht.

2016

Das Jahr 2016 war geprägt von Weichenstellungen, die den Übergang von exil.arte zum Exilarte Zentrum vorbereiteten. Die bedeutendste Entdeckung war ein Klavier, das einst dem Komponisten und Byzantinisten Egon Wellesz und seiner Frau, der Kunsthistorikerin Emmy Wellesz, gehört hatte. Das Instrument, im Februar 1909 fertiggestellt, war ein Hochzeitsgeschenk von Emmys Vater Ludwig Stross. Als die Familie Wellesz nach England ins Exil ging, nahm sie das Klavier nach Oxford mit, wo es bis zu Egons Tod 1974 verblieb. Danach gelangte es an den Musiker Leslie Thompson und später an dessen Tochter Rachel. Diese plante zunächst, das Klavier zu versteigern. Durch Vermittlung von Tanya Tintner, der Witwe des Dirigenten und Komponisten Georg Tintner, konnte Gerold Gruber sie jedoch überzeugen, das Instrument dem Exilarte Zentrum zu überlassen. Im Juni 2016 wurde das Klavier nach Wien überführt – ein Symbol für Kontinuität und Rückkehr eines im Exil bewahrten Kulturerbes.

Im Laufe des Jahres wurde die Konzertreihe Echo des Unerhörten weitergeführt, mit Programmen zu Egon Wellesz, zur Wiener Operettentradition sowie zu Komponisten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Damit wurde das Repertoire verfemter und vergessener Musik erweitert und die transnationalen Dimensionen des Exils sichtbar gemacht.

Den Abschluss des Jahres bildete am 25. November das Symposium 10 Jahre exil.arte – Wie geht es weiter?, verbunden mit einem Konzert des Adamas Quartetts im ORF Radiocafé. Aufgeführt wurden Werke von Rosy Wertheim, Alexandre Tansman und Hans Krása. Am Ende der Veranstaltung wurde offiziell verkündet, dass exil.arte in ein dauerhaftes Zuhause an der mdw übersiedeln würde – mit eigenen Archiv-, Forschungs- und Ausstellungsräumen im historischen Gebäude der ehemaligen Musikakademie im Wiener Konzerthaus. Damit war der Übergang von einem Verein zu einem universitären Forschungszentrum vollzogen.

2017

Die offizielle Eröffnung des Exilarte Zentrum wurde 2017 mit der Ausstellung Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien gefeiert. Der Titel, ein Zitat des Komponisten Robert Fürstenthal, stand programmatisch für eine Präsentation jener Künstler:innen, die während der NS-Zeit vom Studium oder von der Tätigkeit an der damaligen Musikakademie ausgeschlossen waren. Im Zentrum der Ausstellung stand das Wellesz-Klavier, flankiert von Gestapo-Dokumenten zur Arisierung der Familie Wellesz. Ergänzt wurde die Präsentation durch biographische Tafeln und André Singers Gedicht Requiem for the Homeless.

Parallel dazu wurden zwei wissenschaftliche Meilensteine erreicht: Zum einen erschien im Verlag Der Apfel der Band Music: Lost & Found mit den Akten des 2015 in Schwerin abgehaltenen Symposiums. Zum anderen brachte der Mandelbaum Verlag die erste Edition der Korrespondenz von Erich Wolfgang Korngold heraus: Dear Papa, how is you?, herausgegeben von Lis Malina. Obwohl die Korngold-Ephemera physisch erst 2022 ins Archiv gelangte, wurde sie bereits ab 2017 zu einer zentralen Quelle, u. a. für die Arbeit von Nobuko Nakamura, der Korngold-Forscherin des Zentrums.

Im März nahm das Zentrum am 20. Internationalen Kongress der International Musicological Society (IMS) in Tokio teil. Eine Diskussionsrunde unter dem Titel Music in Exile: East Meets West (Ulrike Anton, Gerold Gruber, Karl Vocelka, Takashi Yamamoto und Junko Iguchi) befasste sich mit dem kulturellen Brückenschlag jüdischer Emigrant:innen zwischen Ost und West. Am 20. März präsentierte Exilarte im Rahmen des Tokyo Spring Festivals im Ishibashi Memorial Hall ein Konzert mit Werken von Herbert Zipper, Marius Flothuis, Béla Bartók, Mieczysław Weinberg und Hans Gál. Es spielten Ulrike Anton (Flöte), Shoko Kawasaki (Klavier) und das Precious String Quartet.

Die Konzertreihe Echo des Unerhörten widmete sich 2017 u. a. den Komponisten Ernst Toch, Walter Arlen, Ernst Krenek und Alexandre Tansman und verdeutlichte damit erneut das Ziel, vergessene Stimmen durch Aufführungspraxis zu restituieren.

2018

2018 stellte einen Höhepunkt in der Archivarbeit des Exilarte Zentrum dar: Zwölf Nachlässe konnten übernommen werden – rund ein Viertel des heutigen Gesamtbestandes. Diese außerordentliche Erweiterung unterstrich die Bedeutung des Zentrums als internationales Zentrum für die Sicherung und Erforschung von Exilmusik.

Im selben Jahr veröffentlichte der Böhlau Verlag den vierten Band der exil.arte-Schriftenreihe: Karin Wagners Monographie Hugo Kauder (1888–1972): Komponist | Musikphilosoph | Theoretiker, herausgegeben von Gerold Gruber. Damit rückte ein lange marginalisierter Komponist und Denker ins Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Kauders Werk sollte im Folgejahr auch in der Konzertreihe Echo des Unerhörten thematisiert werden.

Am 15. Mai 2018 präsentierte diese Reihe ein Programm mit Werken von Jan Urban und Gustav Lewi. Auch damit wurde die enge Verbindung zwischen Archivarbeit, Forschung und Aufführungspraxis sichtbar.

2019

Der internationale Schwerpunkt von Exilarte lag 2019 auf China: Am China Conservatory of Music in Peking wurde das Symposium Exilarte in China veranstaltet, das dem Komponisten und Theoretiker Wolfgang Fraenkel gewidmet war. Als jüdischer Komponist und Vertreter der Zwölftonmusik war er 1939 nach Shanghai geflohen, wo er bis in die Nachkriegszeit wirkte. Das Symposium beinhaltete Interviews mit ehemaligen Schülern wie Duan Pingtai, Zhou Guangren und Wang Zhenya sowie Aufführungen von Werken Fraenkels, ergänzt durch Lieder chinesischer Komponist:innen wie Deng Erjing, Tan Xiaolan, Li Yinghai und Luo Zhongrong. Damit wurde das Exil auch als transkulturelles Phänomen zwischen Europa und Asien sichtbar gemacht.

Im Oktober beteiligte sich Exilarte an der Langen Nacht der Museen in Wien und öffnete das Zentrum einem breiten Publikum. In der Reihe Echo des Unerhörten wurden Werke von Michael Graubart und André Singer präsentiert.

Die Jahresausstellung widmete sich dem Nachlass der Lahr von Leïtis Academy & Archive und stellte das Schaffen des Regisseurs Erwin Piscator und der Choreographin Maria Ley-Piscator vor. Sie war bis Juni 2020 zu sehen und zeigte exemplarisch die Rolle exilierter Künstler für das Theater- und Tanzleben des 20. Jahrhunderts.

2020

Während der COVID-19-Pandemie verlagerte das Exilarte Zentrum seine Aktivitäten in den digitalen Raum. Michael Lahr (Lahr von Leïtis Academy & Archive) bot Online-Führungen durch die Piscator-Ausstellung an, und Ulrike Anton führte virtuell durch die 2020 eröffnete Schau über die Filmkarrieren und Netzwerke von Jan Kiepura und Marta Eggerth. Iby-Jolande Varga entwickelte eine 360°-digitale Führung, die seitdem zum Standard der Vermittlungspraxis des Zentrums geworden ist.

Auch die Konzertreihe Echo des Unerhörten wurde fortgesetzt. Im Januar wurde ein Programm mit Werken von Alban Berg, Philip Herschkowitz und dessen Schüler:innen Edison Denisov und Elena Firsova aufgeführt. Interpretinnen waren Ulrike Anton (Flöte), Sara Hershkowitz (Sopran) und Elisabeth Leonskaja (Klavier). Besonders hervorgehoben wurde dabei Herschkowitz’ Wirkung auf nachfolgende Komponistengenerationen der Sowjetunion.

Darüber hinaus stellte das Zentrum Johanna Mertinz Buch Exodus der Talente. Heinrich Schnitzler und das Deutsche Volkstheater Wien 1938–1945 vor, das die Rolle des Exils für die Wiener Theatergeschichte beleuchtete.

2021

Im März 2021 erweiterte das Exilarte Zentrum seine digitale Präsenz mit einem gestreamten Konzert aus der US-Botschaft in Wien. Das Programm war Komponistinnen gewidmet und umfasste Werke von Ruth Schönthal, Vally Weigl, Nancy Van de Vate, Gabriele Proy und Katherine Hoover. Es spielten Ulrike Anton (Flöte), Miyuki Schüssler (Klavier) und Armin Egger (Gitarre).

Am 5. Mai beteiligte sich Exilarte am Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Österreichischen Parlament. Aufgeführt wurden Werke von Hans Gál, Ruth Schönthal, Helmut Jasbar, Ursula Mamlok, Gabriele Proy, Alexandre Tansman, Walter Bricht und Vally Weigl. Interpret:innen waren Ulrike Anton, Miyuki Schüssler, Isabella Schwarz, Floris Willem und Nicolás Bernal-Montaña.

Einen weiteren Meilenstein stellte die erste Ausstellungspublikation des Centers dar: My Song for You: Marta Eggerth and Jan Kiepura between Two Worlds (Verlag Der Apfel). Der Katalog dokumentierte das künstlerische Schaffen des Ehepaars und stellte die Ausstellungsergebnisse einer breiteren Fachöffentlichkeit dauerhaft zur Verfügung.

2022

Im April 2022 kehrte Exilarte mit einer Konzerttournee in die USA zurück. Auftritte fanden im Center for Jewish History in New York sowie in den Österreichischen Kulturforen in New York und Washington, D.C. statt. Gespielt wurden Werke von Hans Gál, Erwin Schulhoff, Alexandre Tansman, Julius Bürger und Robert Fürstenthal.

Im Mai veranstaltete Exilarte in Kooperation mit dem Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien, dem Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies (Yale University) und der mdw den Workshop und das Konzert Songs from Testimonies. Der Komponist, Musiker und Musikwissenschaftler Zisl Slepovitch/ Stephen Naron von der Yale University präsentierte seine Arbeit mit dem Fortunoff-Archiv und leitete ein Konzert mit Liedern, die ursprünglich in Dörfern, Ghettos und Konzentrationslagern in Mittel- und Osteuropa gesungen worden waren.

Am 13. September eröffnete die Ausstellung Fritz Kreisler – Ein Kosmopolit im Exil: Vom Wunderkind zum „König der Geiger“. Sie zeichnete Kreislers Weg von Wien über die Emigration bis hin zu seiner internationalen Karriere nach.

2023

Am 13. April 2023 präsentierte Exilarte ein Echo des Unerhörten-Konzert zu Ehren von Julius Bürger (später Burger), einem Wiener Komponisten, der 1938 in die USA floh und dessen Werk erst ab 1994 wiederentdeckt wurde. Während im Jahresverlauf auch Werke von Walter Bricht, Robert Fürstenthal, Hans Gál, Walter Arlen, André Singer, Philip Herschkowitz, Wilhelm Grosz, Hans Winterberg und Walter Würzburger gespielt wurden, stand Bürger besonders im Fokus: Am 18. August fand im Großen Sendesaal des ORF ein umfangreiches Bürger-Konzert unter der Leitung von Gottfried Rabl mit dem ORF Radio Symphonieorchester statt.

Die Bedeutung dieser Bemühungen wurde durch die Veröffentlichung der Dokumentation Julius Bürger – Expelled and Rediscovered. A Viennese Composer Returns im August 2024 noch verstärkt. Damit verband Exilarte Aufführungspraxis und audiovisuelle Dokumentation und trug so zur nachhaltigen Sicherung von Bürgers Werk bei.

Vom 3. bis 5. November beging Exilarte den 150. Geburtstag Arnold Schönbergs mit einem Symposium in Shenzhen, China. Gerold Gruber, Joseph Auner, Severine Neff und Ulrike Anton hielten Vorträge über Schönberg sowie über dessen Schüler Wolfgang Fraenkel und Julius Schloss, die im Exil in Shanghai als Musikpädagogen wirkten. Dazu fanden Konzerte mit Kammermusik von Schönberg (3. November) sowie eine Aufführung von Tod Machovers Oper Schoenberg in Hollywood (4. November) statt.

Ebenfalls 2023 erschien Michael Haas’ zweite große Monographie: Music of Exile: The Untold Story of the Composers who Fled Hitler (Yale University Press). Sie knüpfte an Forbidden Music (2013) an und erweiterte die Exilforschung um neue Perspektiven.

2024

Ab März 2024 rückte Arnold Schönberg erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Programme: Die Sonderausstellung Triangel der Wiener Tradition: Zemlinsky – Schönberg – Hoffmann beleuchtete die verflochtenen Biographien und divergierenden Karrieren von Alexander Zemlinsky, Arnold Schönberg und Richard Hoffmann. Die Schau war bis Dezember zu sehen und wurde von einem Katalog (Böhlau Verlag) begleitet.

Im Sommer trat Exilarte erstmals beim Amadeus Festival Wien auf. Am 29. Juni spielten Nadia und Liuba Kalmykova (Violine) sowie Kasumi Yui (Klavier) Werke von Schostakowitsch, Moritz Moszkowski, Hans Gál und Pablo de Sarasate. Am 30. August folgte ein Auftritt beim Kammermusikfestival Wien mit dem Aron Quartett. In demselben Konzert wurden Lieder von Walter Bricht aufgeführt – mit der Tochter des Komponisten, Dana Bricht, im Publikum.

Die Reihe Echo des Unerhörten setzte sich mit Programmen zu Arnold Schönberg, Wolfgang Fraenkel, Erich Zeisl, Ruth Schönthal, Hans Winterberg, Ilse Weber, Pavel Haas, György Ligeti, Jean Françaix und Egon Lustgarten fort. Damit wurden kanonische Vertreter der Moderne mit weniger bekannten Exilkomponist:innen kontrastiert.

2025

Die Reihe Echo des Unerhörten eröffnete 2025 mit einem Robert-Fürstenthal-Programm und umfasste weitere Konzerte am 9. April und 22. Mai.

Das Hauptprojekt des Jahres war die Ausstellung Erich Zeisl: Wiens verlorener Sohn in der Fremde. Sie beleuchtete Zeisls Kindheit in der Leopoldstadt, seine frühe Karriere, die Bemühungen seiner Familie um eine Ausreise in die USA sowie die relative Unbekanntheit, die er dort trotz seiner Arbeit in der Filmindustrie erfuhr. Auch diese Ausstellung wurde von einem wissenschaftlichen Katalog begleitet.

Für 2026 kündigte Exilarte außerdem weitere Publikationen an: Monographien über Wilhelm Grosz, Richard Fuchs und Hans Winterberg sowie eine englische Übersetzung von Karin Wagners Hugo Kauder (1888–1972): Komponist | Musikphilosoph | Theoretiker. Damit unterstreicht das Zentrum seine Rolle als Forschungs- und Editionsplattform von internationaler Bedeutung.

Die Entwicklung von exil.arte/ Exilarte Zentrum zwischen 2006 und 2026 zeigt beispielhaft, wie aus einer im Gedenken verwurzelten Initiative ein international bedeutendes Forschungs- und Kulturzentrum werden konnte. In knapp zwei Jahrzehnten gelang es, wissenschaftliche Arbeit, Archivpraxis und Aufführungskultur eng miteinander zu verbinden. Ausstellungen, Kataloge, Tonträger und Tagungen machten verfemte Komponist:innen nicht nur der Forschung, sondern auch einem breiten Publikum wieder zugänglich.

Gleichzeitig ist Exilarte zu einem Modell für kulturelle Erinnerung geworden: durch die Sicherung von Nachlässen und musikalischem Erbe, durch die Pflege transnationaler Kooperationen von Wien über New York bis Shanghai sowie durch digitale Innovationen, die weltweiten Zugang ermöglichen. Das Center macht nicht nur die Verluste durch Exil und Verfolgung sichtbar, sondern auch die Widerstandskraft und bleibende Vitalität der zum Schweigen gebrachten Stimmen.

Mit den für 2026 angekündigten Publikationen und Projekten bleibt Exilarte auch künftig seiner Aufgabe verpflichtet, die Reichweite und Tiefe der Exilforschung zu erweitern. Die Jahre 2006–2026 bilden daher keinen Abschluss, sondern ein Fundament: ein lebendiges Archiv und eine Plattform, die die Musikgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts nachhaltig verändert.