Das 6. Internationale Musiksymposium im Rahmen des Festivals Verfemte Musik in Schwerin, Deutschland, wurde in diesem Jahr der Filmmusik gewidmet, unter dem Titel:
„Musik ist Musik. Ob sie für die Bühne, das Dirigentenpult oder fürs Kino ist.“
(Erich Wolfgang Korngold, 1946)
In den 1930er Jahren emigrierten zahlreichen Komponisten aus Europa an die Westküste der USA, wo sie in Hollywood ein neues Betätigungsfeld fanden: die Filmmusik. Unter jenen Komponisten, welche dieses Genre für die kommenden Jahrzehnte prägen sollten, sind u. a. Erich Wolfgang Korngold, Franz Waxman, Max Steiner, Hanns Eisler, Ernst Toch und Alexandre Tansman zu nennen. Obwohl viele der Komponisten in Hollywood sehr erfolgreich waren, fand ihre Filmmusik in Europa kaum Beachtung – oder sie wurde als kommerzielle Ware einer ›Kulturindustrie‹ herabgewürdigt.
Gerold Gruber hielt den Vortrag:
Ernst Toch – der „meistvergessene“ Komponist des 20. Jahrhunderts
Der in Wien geborene Komponist Ernst Toch (1887-1964) war in den 20er Jahren ein wichtiger Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialist:innen 1933 verließ er Berlin und versuchte in Paris und London seinen Lebensunterhalt zu verdienen, emigrierte aber schließlich über New York nach Hollywood, um als Filmkomponist zu überleben. George Gershwin lud ihn zu einem Filmprojekt ein, das jedoch nicht realisiert wurde. Für Paramount vertonte er 11 Filme und errang Oscar Nominierungen für „Ladies in Retirement“ (1941) und „Address Unknown“ (1944). Wie Korngold versuchte er nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Europa Fuß zu fassen, was aus ähnlichen Gründen misslang. Zynisch meinte er, dass er der „meistvergessene“ Komponist des 20. Jahrhundert wäre.
Das Exilarte Zentrum bringt Verstummtes wieder zum Klingen und macht Vergessenes wieder sichtbar.
Während der dunklen Zeit des Nationalsozialismus mit Musik ein Zeichen des Widerstandes zu setzen war für viele jüdische Komponist:innen der einzige Weg anzuklagen, sich aufzulehnen oder in verzweifelten Situationen wieder Hoffnung zu finden. Viele von ihnen wurden verfolgt, ermordet oder ins Exil gezwungen. Aber ihre unter teilweise widrigsten Umständen entstandenen Werke legen heute noch Zeugnis von beispiellosem Mut ab und erinnern uns welche Kraft Musik ausstrahlt. Musik half um zu überleben und das unmittelbar Geschehene zu ertragen. Aber die erschaffenen Töne ermöglichten auch mit versteckten musikalischen Botschaften das Unrecht der Täter anzuprangern. Viktor Ullmann komponierte im Ghetto von Theresienstadt seinen Kaiser von Atlantis und hielt damit dem Terrorregime schonungslos den Spiegel vor, bevor man ihn in Auschwitz ermordete; Herbert Zipper schrieb geheim im KZ-Dachau ein Widerstandslied und Hans Gál stellte in seiner Huyton Suite den morgendlichen Weckruf im Internierungslager in Großbritannien als Flüchtling ironisch zur Schau. Einige der noch unentdeckten Werke dieses Programms befinden sich im Archiv des Exilarte Zentrum der mdw.
Vom 3. bis 5. November 2023 findet an der School of Music der Chinese University of Hongkong, Shenzhen eine internationale Konferenz anlässlich des 150. Geburtstages von Arnold Schönberg statt.
Gerold Gruber wird einen Vortrag mit dem Titel „Das Leben und Werk von Wolfgang Fraenkel und Julius Schloss – Komponisten im Exil in Shanghai“ halten.
Schönbergs Ideen und Musik hatten einen bedeutenden Einfluss auf zeitgenössische Musiker:innen, Komponist:innen, Philosoph:innen und Maler:innen. Er lehrte Komposition in Wien, Berlin und Los Angeles. Wolfgang Fraenkel und Julius Schloss sind zwei deutsche Komponisten, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in Nazi-Konzentrationslagern deportiert wurden, jedoch schließlich in Shanghai landeten. Fraenkel war ein Anhänger von Schönberg in Berlin, und Schloss hatte die Gelegenheit, bei Alban Berg in Wien zu studieren, bevor er Europa verließ. Beide wurden in Shanghai Lehrer für Komposition und komponierten zwölftönige Stücke, in die chinesische Musik und Texte eingeflossen sind. Der Vortrag gewährt einen Einblick in ihr kompositorisches Schaffen.
Wir freuen uns die Buchpräsentation „Music of Exile – The Untold Story of Composers Who Fled Hitler“ (Yale University Press, 2023) des renommierten Exilforschers und Autors Dr. Benjamin Michael Haas bekanntgeben zu können. Sie findet am 27. September im Reform Club London statt.
Mittwoch, 27. September 2023, 18:00 Uhr The Reform Club 104 Pall Mall St. James’s London SW1Y 5EW Vereinigtes Königreich
Eintritt frei!
Vortrag:
Benjamin Michael Haas
Im Gespräch:
Benjamin Michael Haas und James Jolly
Über das Buch
Was passiert mit einem Komponisten, wenn Verfolgung und Exil bedeuten, dass seine wahre Musik kein Publikum mehr findet? In den 1930er Jahren begannen Komponist:innen und Musiker:innen aus Hitler-Deutschland zu fliehen, um sich auf der ganzen Welt ein neues Leben aufzubauen. Der Prozess des Exils war komplex: Obwohl einige ihrer Werke gefeiert wurden, hatten diese Komponist:innen ihre vertraute Kultur verloren und waren gezwungen, sich mit Fremdenfeindlichkeit und einem völlig anderen kreativen Terrain auseinanderzusetzen. Andere, die weit weniger Glück hatten, befanden sich in einer Art innerem Exil – sie komponierten unter einer rücksichtslosen Diktatur oder in Konzentrationslagern und Ghettos.
Michael Haas zeichnet einfühlsam die Erfahrungen dieser musikalischen Diaspora auf. Hin- und hergerissen zwischen Kulturen und Traditionen schufen diese Komponist:innen Musik, die eine Synthese aus alten und neuen Welten bildete, von denen einige zum Kernbestand des heutigen Repertoires gehören, während andere in der Schublade verschwunden sind. Von den Musiker:innen, die als feindliche Ausländer in Großbritannien interniert waren, über die brillanten Hollywood-Kompositionen von Erich Wolfgang Korngold bis hin zur Brecht-inspirierten Theatermusik von Kurt Weill zeigt Haas, wie diese Musiker:innen die Klangwelt des 20. Jahrhunderts prägten – und bietet eine bewegende Dokumentation der unberechenbaren Auswirkungen des Krieges auf die Kultur.
Zum Autor: Benjamin Michael Haas, PhD war viele Jahre Plattenproduzent und Aufnahmeleiter bei Decca und Sony, sowie 1994/5 Vizepräsident von Sony Classical in NY. Er ist mehrfacher Grammy-Gewinner und initiierte und leitete die Decca Aufnahmereihe „Entartete Musik“. Von 2002 bis 2010 arbeitete er im Jüdischen Museum Wien als Musik-Kurator. 2013 hat Yale University Press sein Buch „Forbidden Music – the Jewish Composers Banned by the Nazis“ veröffentlicht. 2000 bis 2015 war er Direktor des Jewish Music Institute der University of London und 2015/16 Research Associate am University College London, School of Jewish and Hebrew Studies. Seit 2016 ist er Senior Researcher am Exilarte Zentrum der mdw, das er mitbegründet hat.
Der Katalog zur Ausstellung: Fritz Kreisler – Ein Kosmopolit im Exil. Vom Wunderkind zum „König der Geiger“
Die Ausstellung im Exilarte Zentrum der mdw zeigt die verschiedenen Lebensabschnitte eines der größten Violinvirtuosen des 20. Jahrhunderts, dessen Erfolgsstory von Wien ausging und in New York endete.
Fritz Kreisler war einerseits Kosmopolit und andererseits vom Exilant:innen-Schicksal betroffen. Aus Anlass des 10. Internationalen Fritz Kreisler Violinwettbewerbs, der seit 1979 an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ausgetragen wird, wurde die neue Ausstellung des Exilarte Zentrum der mdw entwickelt – um das Leben und die Bedeutung Fritz Kreislers der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Nachdem die Nazis alle seine Auftritte und Aufnahmen aufgrund seiner jüdischen Herkunft verboten hatten, emigrierte er im September 1939 in die USA und wurde 1943 amerikanischer Staatsbürger. Neben seinen spektakulären Erfolgen seit seiner Kindheit bis zum Ende der Karriere beleuchtet die Ausstellung ihn als Jude und Exilant. Die Ausstellung zeigt aber auch Kreislers philanthropischen und karitativen Tätigkeiten auf. Im Zuge der Recherchen neu entdecktes Material ergänzt die schwierige Forschungslage.
Autor:innen:
Ulrike Anton Amy Biancolli Albrecht Dümling Gerold Gruber Michael Haas Nobuko Nakamura Matthias Schmidt Eric Wen
Herausgeber:
Prof. Dr. Gerold Gruber (Leiter des Exilarte Zentrum)
Triangel der Wiener Tradition Zemlinsky – Schönberg – Hoffmann
Inspiriert vom weltweit gefeierten 150. Geburtstag von Arnold Schönberg beleuchtet die neue Ausstellung im Exilarte Zentrum der mdw das gesellschaftliche und kulturelle Umfeld des Begründers der Zweiten Wiener Schule. Im Besonderen wird Augenmerk sowohl auf Alexander von Zemlinsky, der Schönberg unterrichtete und ihn in die Wiener Musikkreise einführte, sowie auf den Schönberg-Schüler und späteren Assistenten Richard Hoffmann gerichtet, dessen Nachlass sich seit kurzem im Archiv des Exilarte Zentrum befindet
Diese drei Persönlichkeiten, ihre berufliche, freundschaftliche und musikalische Verbindung sowie deren Schicksale während der Zeit des NS-Regimes, werden anhand von Lebensdokumenten, Fotos und Notenmanuskripten nähergebracht.
Unzählige weitere Freigeister des frühen 20. Jahrhunderts aus Musik, Literatur, bildender Kunst und Architektur wie auch wohlhabende Kunstfreunde und Mäzene trafen zum künstlerischen Austausch und zu rauschenden Festen in der von Josef Hoffmann geplanten Künstlerkolonie im damals schon noblen 19. Wiener Gemeindebezirk aufeinander. Der Großteil von ihnen hatte jüdische Wurzeln und wurde von den Nazis verfolgt. Viele konnten emigrieren, viele kamen in den KZs ums Leben.
Plan des Hauses von Zemlinsky (Zeichnung von Walter Loos)
Schillernde Persönlichkeiten wie Alma Mahler-Werfel, Gustav Mahler, Carl Moll, Koloman Moser, Hugo Henneberg, Sigmund Freud, Egon und Emmy Wellesz, Emil und Yella Hertzka, Richard Gerstl, Adolf Loos und Arnold Schönberg inspirierten einander in dieser von Jugendstil geprägten Villenkolonie, welche als Modell für die Ausstellung nachgebaut wird.
Arnold Schönberg emigrierte als einer der ersten bereits 1933, Richard Hoffmann 1935 und Alexander Zemlinksy nach dem „Anschluss“ 1938 … Wie sehr verändert das erzwungene Exil einen Menschen, einen Künstler in seinem Schaffen? In der Ausstellung werfen wir einen Blick auf das jeweilige Oeuvre vor und nach der Flucht in eine ungewisse Zukunft.
Die 1947 in den USA geschriebene Partitur zu einem der bekanntesten Werke Arnold Schönbergs A Survivor from Warsaw wird in der Ausstellung kontextualisiert. Zuvor große symphonische Werke verfassend ist Alexander Zemlinsky kompositorisch durch die Verfolgung beinahe verstummt: zu sehen sind die beiden in New York entstandenen Lieder-Sammlungen aus 1938 (op. 27) und 1940 (ohne op.).
Die Frage, wie das Leben in Europa ohne Hitlers Nationalsozialistische Rassenlehre für Millionen betroffener Menschen ausgesehen hätte, lässt sich nicht mehr beantworten und der Verlust, den Europa an künstlerischem Potenzial dadurch verloren hat, nicht bemessen. Wir zeigen auf, mit welch willkürlicher Bürokratie man jüdische und systemkritische Menschen schikanierte. Dokumente wie Zemlinskys Reichsfluchtssteuerbescheid und Alien Registration Receipt Card mit Fingerabdruck sind im Original zu sehen.
Zemlinsky und Schönberg gelang die Flucht per Transatlantik-Dampfschiff in die USA, Richard Hoffmann emigrierte nach Neuseeland. Andere Flucht-Schicksale, Wege an Orte des Exils von Frauen, Männern und Kindern werden in der Ausstellung rekonstruiert.
Vielen Komponist:innen und Musiker:innen aus der damaligen Gesellschaft um Zemlinsky, Schönberg und Hoffmann gelang der Weg in die Freiheit nicht. Sie lebten im Untergrund (zum Beispiel Josef Polnauer, Olga Novakovic u.a.) oder wurden von den Nazis ermordet (zum Beispiel Schönbergs Familienmitglieder oder der Schönberg-Freund und Verleger Henri Hinrichsen).
„Triangel der Wiener Tradition“ betitelt die Verbindung dreier Musiker, die als Komponisten, Pädagogen und Freunde ein ähnliches Schicksal teilten: sie waren jüdischer Herkunft und somit Verfemte und Verbannte.
Klaviertrios sind ein wichtiger Bestandteil des kompositorischen Schaffens von André Singer und Hans Winterberg. Der geplante Konzertabend bringt die zwei noch weitgehend unbekannten, aber musikalisch faszinierenden Trios zur Aufführung, interpretiert vom Pianisten David Hausknecht, dem Geiger Floris Willem und der Cellistin Cristina Basili.
Dienstag, 12. Dezember 2023, 19 Uhr Palais Ehrbar – Kleiner Ehrbar Saal Mühlgasse 28 1040 Wien
Sonate für Violoncello und Klavier Streichquartett (1942) – Uraufführung der vollständigen Fassung Quintett für Violine, 2 Klarinetten, Horn und Klavier (1935) – Uraufführung
Moderation:
Gerold Gruber (Gründer von exil.arte und Leiter des Exilarte Zentrum)
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit Puskas International, Exilarte – Zentrum für verfolgte Musik, Boosey & Hawkes, Österreichisch-Tschechische Gesellschaft, Tschechisches Zentrum Wien und Tschechische Botschaft in Wien.
Dienstag, 21. November 2023; 19:30 Uhr ORF Radiokulturhaus (Großer Sendesaal) Argentinierstraße 30a 1040 Wien
Tickets gibt es hier. 50% Ermäßigung für Student:innen.
Jonathan Powell stellt Winterberg in den Kontext tschechischer Klaviermusik und schlägt eine Brücke zwischen tschechischen und Wiener Traditionen der 1920er- und 30er-Jahre. Höhepunkt des Recitals ist die Uraufführung der 4. Klaviersonate Winterbergs.
Im Anschluss beleuchtet eine international besetzte Diskussionsrunde Winterbergs Biografie, Schaffen und die Wiederentdeckung seines Nachlasses vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts.
Im Gespräch:
Petr Brod (Journalist, Prag) Gerold Gruber (Exilarte Zentrum, Wien) Frank Harders-Wuthenow (Boosey & Hawkes, Berlin) Lubomir Spurný (Masaryk Universität, Brno)
Der 1901 in Prag geborene Komponist und Pianist Hans (Hanuš) Winterberg fand seine letzte Ruhestätte 1991 in Bad Tölz. Winterberg, Schüler von Alexander von Zemlinsky, gehörte in den 1930er Jahren zur musikalischen Elite der Tschechoslowakei und wurde aufgrund seiner jüdischen Abstammung am 26. Jänner 1945 ins KZ Theresienstadt deportiert. Winterbergs faszinierendes Oeuvre wird erst seit kurzem wiederentdeckt und in einer Kooperation zwischen dem Exilarte Zentrum der mdw und dem Verlag Boosey & Hawkes veröffentlicht.
Eine Vorreiterrolle bei dieser Winterberg-Renaissance spielt der international renommierte englische Pianist Jonathan Powell. Der 2021 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik Ausgezeichnete stellt Winterberg in den Kontext der tschechischen Klaviermusik und schlägt eine Brücke zwischen tschechischen und zeitgenössischen Wiener Traditionen. Ein Höhepunkt des Recitals ist die Uraufführung der 4. Klaviersonate Winterbergs.
Im Anschluss beleuchtet eine Diskussionsrunde Winterbergs Biographie, Schaffen und Wiederentdeckung seines Nachlasses vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts.
Veranstaltung in Kooperation mit Sing- und Musikschule Bad Tölz, Peter Puskas, Bayerischer Rundfunk, Tschechisches Zentrum München, Kulturreferat für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein